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Andorra

Ihr Lieben,

heute besuche ich erst das zweite europäische Land während meiner Lesereise und stoße ausgerechnet hier auf sprachliche Hürden! Das hat mich wirklich überrascht. 

Wie kann es denn sein, dass Bücher aus Andorra so schwer zu bekommen sind? Und -  zumindest was die Autorinnen betrifft - nicht in deutscher oder englischer Übersetzung vorliegen? 

Das ist wirklich sehr schade, denn offenbar besitzt der Zwergstaat eine recht lebendige Literaturszene.

 



 

 

 

 

 

 

Für meinen Blog habe ich mir folgendes Werk ausgesucht. Schon den Titel fand ich ungewöhnlich genug, um mich dafür zu interessieren:

 

Teresa Colom i Pich: La Senyoreta Keaton I altres Bèsties.

     


 
 

      

 

 

 

 

Rezension

Es gibt also diesmal leider keinen deutsch- oder englischsprachigen Vorschlag, sondern einen in der Amtssprache Andorras, in Katalan. Diese Sprache klingt toll, aber leider kann ich sie nicht wirklich lesen und musste mich mit Übersetzungsprogramm, Latein und rudimentären Kenntnissen in Französisch und Spanisch behelfen. Ich fand aber das, was ich erahnen konnte, immerhin so bemerkenswert, dass ich das Buch trotz aller Hürden in meine Reiselektüre aufnehmen wollte (Wenn man in der Welt außerhalb des Buchdeckels unterwegs ist, muss man ja auch manchmal Sprachbarrieren überwinden...). Insofern schreibe ich auch weniger eine Rezension als viel mehr ein vorsichtiges Nachspüren und mein Appell an die deutschen Verlage lautet auf jeden Fall: Übersetzen Sie doch mal was aus Andorra...

Die Geschichten der Teresa Colom i Pich sind schräg, allen voran die Titelgeschichte: „Fräulein Keaton und andere Tiere“. In einem Interview charakterisiert die Autorin ihr Buch als literarische Übung, in der fünf Geschichten so miteinander verschlungen sind, dass sie zu einem eigenen Mikrokosmos verschmelzen. Es geht in jeder Einzelgeschichte um Geburt und Tod, also nicht weniger als die großen Themen des Lebens - offenbar nicht ohne einen Schuss Melancholie.

In der ersten Geschichte altert eine Frau überproportional schnell – also eine Umkehrung des Falls Benjamin Button - mit all den erwartbaren, aber auch völlig unerwarteten Schwierigkeiten. Dass die Zeit dieser Figur so schnell abläuft, lässt bereits ihr Name "Frau Clock“ erahnen. In der zweiten Story, "Caterina", geht es um das seltsame Verschwinden und Wiederauftauchen eines Mädchens an einem Strand. 

"Mortsones Kind" in der dritten Geschichte muss mit einer fehlgebildeten Hand sein Dasein meistern. Hier tauchen endlich auch Fräulein Keaton und die anderen Tiere aus dem Titel auf. In "Der Sohn des Bestatters" steht ein junger Mann vor ein schwerwiegendes Problem: Wie bleibt man am Leben, wenn der Tod sich plötzlich einen Sohn wünscht? 

Die letzte Geschichte, "La Maison Desirchamp", berichtet schließlich von einem Baby, das im Schnee gefunden wird. Die Identität der Eltern ist unbekannt, Erstaunlich an dem Kleinen ist jedoch seine Fähigkeit, in großer Kälte zu überleben.  

Die Autorin setzt ihre skurrilen Figuren den ungewöhnlichsten Situationen aus. Ihre Motivationen sind völlig verrückt – oder doch ganz normal?


Begriff

Grumoll – Klumpen

(Das Wort gefällt mir einfach wegen seines "grummeligen" Klangs.)

 

Leseprobe

Hier mein Versuch einer Übertragung. Ich bitte schon jetzt um Entschuldigung, falls ich etwas missverstanden habe. 

Am selben Morgen stolperte Frau Clock über die Unumkehrbarkeit des Alters, als sie erfuhr, dass sie schwanger war.

Es war Frühstückszeit. Viertel von neun. Die Sonne drang durch die großen Fenster des imposanten Speisesaals mit Blick auf den Garten. Herr Clock las die Zeitung, den Finanzteil. Frau Clock rührte lustlos in ihrem Tee. Auf der Oberfläche, unter dem samtig aufsteigenden Dampf, trieb ein Klumpen. Nichts, was heißes Wasser und Tee allein hätten hervorbringen können. Als sie ihn genauer betrachtete, erinnerte er Frau Clock an den teigigen Mund von Herrn Grum, dem Butler. Herr Grum hatte ihren Tee nicht serviert, sie hatte ihn selbst serviert. Aber nicht der Klumpen war der Grund dafür, dass sie aufsprang und zur nächsten Toilettenschüssel lief, sondern der erste Schluck Tee. Frau Clock kniete sich auf den Marmorboden und würgte die Reste des Abendessens vom Vortag und alle möglichen anderen Stoffe, mit denen wir üblicherweise gefüllt sind, hervor. Morgenübelkeit. Es war nicht das erste Mal, dass sie das erlebte. Vor zehn Jahren hatte sie sie bereits kennengelernt, vor ihrer ersten und einzigen Abtreibung. 

S.3


Facts zur Autorin:

 


 

 

 

 

 

 

Teresa Colom i Pich

Copyright: Màximus/Diari BonDia (Andorra)

Teresa Colom i Pich ist eine andorranische Autorin und Lyrikerin. Sie veröffentlicht, wie in Andorra üblich, auf Katalan. Ursprünglich studierte sie Wirtschaftswissenschaften und arbeitete dann bei einer Bank. Erste Preise und erfolgreiche Veröffentlichungen bestärkten sie schließlich darin, sich ausschließlich dem Schreiben zu widmen. Heute gilt sie als eine der wichtigsten Lyrikerinnen der andorranischen Literatur.

 

Preise:

2000 Premi del Concurs de Poesia de la Biblioteca Pública del Govern d’Andorra

2000 Premi Grandalla de Poesia del Cercle de les Arts i de les Lletres d’Andorra

2009 Talentpreis von FNAC für On tot és vidre

2016 Premio Maria Àngels Anglada (a obra publicada), für La senyoreta Keaton i altres bèsties

 

Weitere Bücher der Autorin:

2001 Com mesos de juny, Edicions del Diari d’Andorra, Andorra la Vella (Wie Junimonate)

2002 La temperatura d’uns llavis, Edicions del Diari d’Andorra, Andorra la Vella (Die Temperatur von Lippen)

2005 Elegies del final conegut, Abadia Editors. Maçaners (Elegien des bekannten Endes)

2009 On tot és vidre, Pagès Editors. Lleida (Wo alles Glas ist)

2012 La meva mare es preguntava per la mort. Pagès Editors

2015 La senyoreta Keaton i altres besties. Empúries La Huerta Grande (Fräulein Keaton und andere Tiere)

2019 Consciència. Empúries (Gewissen)

 

Weitere Autorinnen aus Andorra:

Montserrat Cayuela i Bragulat

Marta Repullo i Grau

 

Infobox

Andorra ist mit 78.000 Einwohnern und 468 km² Fläche der größte der sechs europäischen Zwergstaaten. Die moderne Literatur begann in den 1980er Jahren, nimmt aber erst seit der Unabhängigkeit des Landes 1993 richtig an Fahrt auf. Die Regierung fördert die andorranische Literatur mit Literaturwettbewerben, Preisen und Schulprojekten. 


Links zur Autorin

https://www.lyrikline.org/es/poemas/calia-un-cos-13713

https://www.grup62.cat/foreign-rights/author/maria-teresa-colom-pich/000055747

https://nomegustalapoesia.wordpress.com/tag/teresa-colom-i-pich/

 

 

 

 

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