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Angola

 

Ihr Lieben,

heute gibt es zur Abwechslung mal Gedichte zu lesen - und zwar aus Angola.

 





 

 

 

Ana Paula Ribeiro Tavares: Fieberbaum. Zweisprachige Werkausgabe (Portugiesisch / Deutsch), übersetzt von Juana und Tobias Burghardt. Edition Delta, Stuttgart 2010

 







Die vorliegende Sammlung ist eine Auswahl von Gedichten aus den ursprünglichen Bänden Ritos de Passagem, O Lago da Lua, Dizes-me Coisas Amargas Como os Frutos, Ex-Votos und Manual para Amantes Desesperados.

 

Rezension

Ich muss gestehen, dass es mir nicht leicht fällt, über Lyrik zu schreiben. Manchmal bin ich völlig begeistert von einem schlichten Vierzeiler und manchmal können mich selbst die geschliffensten Verse nicht überzeugen, weil ich weder einen rationalen noch einen emotionalen Anknüpfungspunkt finde. Bei Gedichten schickt der Autor ja eben keine eindeutige Nachricht, sondern gibt Rätsel auf, verschlüsselt und verführt im besten Fall selbst mitzugestalten, indem man den Code knackt und das Ungesagte für sich ergänzt. Aber ich erzähle Euch gern, wie es mir mit den Gedichten von Ana Paula Tavares ergangen ist.

Ihre kraftvollen Bilder und die Bezüge zu afrikanischen Traditionen haben mich eigentlich von Anfang direkt angesprochen. Ich kann nicht behaupten, dass ich jede einzelne Zeile bis ins Kleinste verstanden hätte, da mir teilweise zum Beispiel die Bedeutung der Rituale, die beschrieben werden, unbekannt ist. Oder der Sinn bestimmter Symbole. Aber das ist für den Genuss der Gedichte auch völlig bedeutungslos. Denn der Autorin gelingt es aus meiner Sicht immer, dem Leser mit großer Eindringlichkeit nahe zu bringen, worum es in der jeweils beschriebenen Situation geht und wie sich die im Gedicht beschriebene Person gerade fühlt.

Interessanterweise geht es ja letztendlich doch wieder um Menschliches, das nicht an die afrikanische Umwelt gebunden ist. Die Anweisungen, die die Mütter einer jungen Frau in  OTYOTO (Der Familienaltar) geben, unterscheiden sich nicht grundsätzlich von dem, was Mütter überall auf der Welt noch immer ihren Töchtern mit auf den Weg geben: "Bewahre die Schätze... die Stille ... Pflege den Körper, das Haus und die Zöpfe ... löse dich in Milch auf für den Hunger der Kinder...". 

Diese interessante Mischung aus emotional Bekanntem und bildsprachlich Ungewohntem lässt einen manchmal lächeln oder zusammenzucken. Interessant ist aber, dass sich Erkenntnis manchmal deutlicher einstellen, wenn der Spiegel, den man gezeigt bekommt, ein wenig anders geschliffen ist. Mich hat der Band jedenfalls sehr berührt und ich habe mich über die etwas andere Annäherung an mein aktuelles Reiseland sehr gefreut.

 

Leseprobe 

 

An einem Stock kann man wortlos vorbeigehen,

,aber nicht an Menschen.

Nyaneka-Weisheit

 

 

Von den beiden, die ich bin, hast du nur

die Irre wahrgenommen,

die Stimme der innigsten Blöße,

den tauben Schrei einer Frau.

 

Von den beiden, die ich bin, 

hast du nur die andere wahrgenommen,

die der losen Windböen,

Kalabassen im Bauch

und einen Dämon 

in den Haaren.

 

Von den beiden, die ich bin,

hast du nur den Schatten wahrgenommen,

den Weinrausch,

den Glanz des Wortes,

den Traum.

 

Da ich jetzt eine Landkarte vermesse,

zeichne ich auf eine Seite die Wege der Heiligen,

der Traum erschien nackt,

du kehrst immer noch zurück,

manchmal

mit den Wörtern der Irren.

 

S. 139

 

Facts zur Autorin:


 

 
 

 

 

 

 

 

 

 

Ana Paula Ribeiro Tavares

Copyright Edition Delta

Nach der Unabhängigkeit Angolas veröffentlichte Ana Paula Tavares erste Gedichte. Im Laufe der Zeit steuerte sie Poesie und Prosa zu verschiedenen Anthologien bei, die in Portugal, Brasilien, Frankreich, Deutschland, Spanien und Schweden erschienen sind. Sie gilt als eine der wichtigsten Stimmen der zeitgenössischen angolanischen Dichtung. Inhaltlich beschäftigt sie sich vor allem mit der Frau in der angolanischen Gesellschaft und wie Liebe, Krieg und Tradition ihr Leben bestimmen.

 

Preis

2004 Poesiepreis Mário António der Stiftung Gulbenkian für das Gedicht Dizes-me Coisas Amargas como os Frutos

 

Weitere Bücher der Autorin:

Ritos de Passagem,1985

O Sangue da Buganvília,1998

O Lago da Lua (1999)

Dizes-me coisas amargas como os frutos, 2001

Ex-votos, 2003

A cabeça de Salomé – Chroniken, 2004

Os olhos do homem que chorava no rio, 2005 mit Manuel Jorge Marmelo

Manual para amantes desesperados, 2007

Ritos de Passagem (2007) – Neuauflage mit Illustrationen von Luandino Viera

Verbetes para Um Dicionário Afetivo, 2016 mit Manuel Jorge Marmelo, Ondjaki und Paulinho Assuncão

In deutscher Übersetzung:

  • Fieberbaum. Zweisprachige Werkausgabe (Portugiesisch / Deutsch), übersetzt von Juana und Tobias Burghardt. Edition Delta, Stuttgart 2010

Aktuell ist bei Edition Delta ein weiterer Gedichtband als zweisprachige Werkausgabe geplant, der 2021 auf der Leipziger Buchmesse vorgestellt werden soll.


Angemerkt

Der "Fieberbaum" heißt in der Biologie Gelbrinden-Akazie (Vachellia xanthophloea). Sein Name war angeblich die Schöpfung weißer Kolonialherren, die den Baum "Fieberakazie" oder "Fever Tree" tauften, weil im Schatten seiner Blätter die Anopheles-Mücken schwärmten, die für die Malaria-Infektionen verantwortlich sind. 

Ob das wirklich so war, ist kaum nachzuprüfen. Ich glaube eigentlich nicht, dass die Menschen so oberflächlich gedacht haben, wir wir es ihnen heute oft genug unterstellen. 

Die Gelbrinden-Akazie wird in der afrikanischen Heilkunst gegen eine ganze Reihe von Krankheiten eingesetzt. Die Rinde beispielsweise wirkt fiebersenkend, daher halte ich es eher für möglich, dass sich die Europäer, wenn sie sich nicht mehr zu helfen wussten, auch mal den Rat einer lokalen Heiler*in angenommen habe. Der Fieberbaum wäre dann eben nicht der, der das Fieber (mit)verursacht, sonder der, der hilft, es zu bekämpfen.

 

Weitere Autorinnen aus Angola:

Chó do Guri (eigentlich: Maria de Fátima)

Dia Kassembe

Alda Lara (eigentlich: Alda Ferreira Pires Barreto de Lara Albuquerque)

Ana de Santana oder Ana Koluki (eigentlich: Ana Paula de Jesus Faria Santana)

Amplia Veiga

 

Das besondere Wort

Den Begriff Afrolusitanistik (oder auch Lusoafrikanistik) finde absolut bemerkenswert. Gemeint ist die wissenschaftliche Beschäftigung mit Sprache, Literatur und Kultur afrikanischer Staaten südlich der Sahara, die Portugiesisch als Amtssprache nutzen.

 

Links zur Autorin:

https://www.lyrikline.org/de/gedichte/perguntas-me-do-silencio-2353

Ana Paula Tavares: Árvore da Febre - Fieberbaum - Lusophone Lyrik - Bücher | Edition Delta (edition-delta.de)

 


 

 



 

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