Ihr Lieben,
bevor wir heute zur Lesereise nach Australien aufbrechen, möchte ich mich erstmal bei allen bedanken, die den Blog bis hierher regelmäßig gelesen haben. Wir haben mit Australien jetzt alle Länder bereist, die mit einem „A“ beginnen. Das mag Euch nicht weiter beschäftigt haben, aber für mich zog sich die „A“-Phase doch wirklich sehr hin.
Obwohl alle Länder wahnsinnig interessant waren und die Autorinnen so außergewöhnliche und emotionale Geschichten erzählt haben, bin ich tief im Innern wohl doch schon so sehr an Fortschrittsbalken und schnelles Vorankommen gewöhnt, dass es jetzt ein richtig gutes Gefühl ist, ab der kommenden Woche dann endlich die Länder dieser Welt zu besuchen, die mit dem herrlichen Buchstaben „B“ anfangen.
Um Euch nochmal unsere bisherige Route ins Gedächtnis zu rufen, hier eine Liste der Stationen. Mit dem heutigen Blog waren wir in:
Afghanistan
Ägypten
Albanien
Algerien
Andorra
Angola
Antigua und Barbuda (wird nachgeliefert, sobald der Verlag das Buch schickt)
Äquatorialguinea
Argentinien
Armenien
Aserbaidschan
Äthiopien
Australien
Einige Leserinnen haben mir geschrieben, dass sie nicht alle Beiträge direkt von der Menüseite aus anwählen können. Momentan habe ich noch keine technische Lösung für das Problem und kann Euch nur bitten, über die Suchfunktion zu gehen und dort das Land einzugeben, für das Ihr Euch interessiert. Alle Beiträge zu den oben genannten Ländern sind noch da und über diesen Weg erreichbar. Um einen besseren Weg kümmere ich mich so schnell es geht.
Also dann, auf nach
Australien
Und die Lektüre ist heute:
Tara June Winch: The Yield. Penguin Books 2019
Rezension
Die Geschichte beginnt damit, dass Albert “Poppy” Gondiwindi seinen nahen Tod spürt. Er ist Angehöriger des indigenen Wiradjuri-Volkes und hat sein Leben in der Siedlung Massacre Plains an den Ufern des Murrumby Flusses mit einer wichtigen Aufgabe verbracht, die er jetzt, bevor er seinen letzten Atemzug tut, zu Ende bringen will. Poppys Mission ist es, die Sprache seines Volkes, die Traditionen seiner Ahnen und überhaupt alles, was die Vorfahren für erinnernswert hielten zu bewahren und weiterzugeben. Da kein Angehöriger der nächsten Generation verfügbar ist, dem er das Wissen mündlich weitergeben kann, schreibt er die Worte, die ihm magisch „auf den Flügeln des Windes“ zueilen, in der Sprache der englischen Invasoren auf.
Nach seinem Tod kehrt Poppys Enkelin, August, aus Europa zurück, wo sie sich seit zehn Jahre eine Existenz aufgebaut hat, in der nichts an ihre Vorfahren erinnert. Die Beerdigung des Großvaters löst eine überwältigende Mischung an Gefühlen in ihr aus: Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen, aber auch Wut, wenn sie an ihre Vergangenheit denkt. Schon ganz früh verlor sie ihre Mutter, die inhaftiert wurde. Rassismus und Armut begleiteten sie, ihre Schwester verschwand unter ungeklärten Umständen.
All der Schmerz und die Demütigung hatte das Leben in Europa nicht verschwinden lassen, sondern nur mit neuen, anderen Erlebnissen überlagert. Jetzt ist Augusts Konfrontation ihrer Vergangenheit unumgänglich. Gleichzeitig erfährt sie die Liebe und Zuwendung ihrer Verwandten und Großvater Gondiwindi nimmt Kontakt aus dem Jenseits zu ihr auf, um ihr die Geschichte der Menschen und des Landes zu erzählen.
In dieses Gefühlschaos dringt die Neuigkeit, dass eine Minengesellschaft das Gebiet der Massacre Plains beansprucht, zunächst kaum in ihr Bewusstsein vor. Schließlich entscheidet sich August aber, den Kampf mit der Minengesellschaft aufzunehmen und mindestens eine angemessene Entschädigung für den Landverlust zu fordern. Sie möchte damit ebenso ihren Großvater und ihre Ahnen ehren, wie sich endlich gegen den Landraub durch die Weißen zur Wehr setzen.
Es hat durchaus ein bisschen gedauert, bis ich mich an den Rhythmus des Buches gewöhnt hatte. Da ich mich sehr für Worte und Klänge interessiere, habe ich mich natürlich spontan über die wunderbaren Erläuterungen zur Wiradjuri-Sprache gefreut. Aber am Anfang war es schon etwas mühsam, die Erzählebenen zu identifizieren. The Yield ist vielleicht kein Buch, dass man einfach so nebenbei herunterliest. Aber wenn man sich ausreichend Zeit nimmt, hat die Autorin eine Menge zu geben.
Drei Erzählebenen skizzieren die drei Zeitphasen, in denen die Wiradjuri existieren: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Aber alles geschieht immer auch gleichzeitig: Traumzeit. Alles ist mit allem verknüpft, was beim Lesen durchaus zu Verwirrung führen kann, aber andererseits sehr direkt das Weltbild der Wiradjuri spiegelt. Deshalb ist es auch ganz selbstverständlich, wenn tote Großväter, Ahnen oder sogar nichtmenschliche Protagonisten in der Geschichte mitmischen.
Am Ende hat man als Leserin jedenfalls vor allem eines: Respekt. Einerseits natürlich vor dem Volk der Wiradjuri und ihrer Kultur, andererseits aber auch vor der Autorin, die es geschafft hat zu erklären, was doch eigentlich nicht zu erklären ist.
Leseprobe:
Respekt – yindyamarra: Ich glaube, ich bin zu dem Schluss gekommen, dass man manche Dinge nicht empfangen kann, wenn man sie nicht auch gibt. Nicht bis man wenigsten die Möglichkeit bekommen hat, zu geben und zu erhalten. Nur Gleichgestellte können Respekt teilen, alles andere ist ein Spiel von Herren und Sklaven – einer hat immer die Macht, wenn er Respekt verlangt. Aber yindyamarra steht für etwas anderes, es ist eine Lebensart – ein Leben der Freundlichkeit, Sanftmut und des Respekts in einem. Das scheint mir eine gute Sache zum Teilen zu sein, unser yindyamarra.
S. 104
Facts zur Autorin:
Tara June Winch wurde 1983 in Wollongong geboren und ist in der Küstenregion von Woonona aufgewachsen. Ihr Vater ist ein Wiradjuri aus dem westlichen New South Wales. Heute lebt die Autorin teils in Australien, teils in Frankreich. Immer wieder finden sich jedoch Orte aus ihren frühen Jahren in ihren Romanen wieder.
Preise
2003 State Library of Queensland Preis für junge Schriftsteller
2003 Maureen Donahoe Encouragement Preis
2004 Literaturpreis des Queensland Premiers
2004 David Unaipon Preis für nichtpublizierte indigene AutorInnen
2006 Literaturpreis des Premiers von Victoria für Indigenes Schreiben
2007 Dobbie Preis
2007 Literaturpreis des Premiers von New South Wales
2007 UTS Preis für Neues Schreiben
2007 Preis für die beste Jungen Australische RomanautorIn des The Sydney Morning Herald
2008 Gewinnerin der Rolex Mentor and Protégé Arts Initiative. Der Nobelpreisträger Wole Soyinka war im Rahmen dieses Events ihr Mentor
2016 Literaturpreis des Premiers von Victoria
2017 Literaturpreis des Premiers von New South Wales
2020 Literaturpreis des Premiers von New South Wales
2020 Buch des Jahres
2020 Christina Stead Preis für Fiktion
2020 People's Choice Preis
2020 Miles Franklin Preis
2020 Voss Literaturpreis
2020 Literaturpreis des Premierministers
2020 Miles Franklin Preis
Angemerkt
Die Figur des Großvaters Albert “Poppy” Gondiwindi ist angelehnt an einen Wiradjuri Ältesten, der tatsächlich sein Leben dem Erhalt seiner Sprache widmete. Stan Grant Senior arbeitete zusammen mit dem Antropologen John Rudder an einer neuen Fassung des “New Wiradjuri Dictionary”, das am Ende um die 600 Seiten umfasste. Außerdem erstellte Grant mehrere kleine Grammatikbände. Für sein Lebenswerk erhielt er die Ehrendoktorwürde.
„Mir wurde gesagt: Wenn man eine verlorene Sprache zum Leben erweckst, gibst du sie der gesamten Menschheit zurück. […] Wir waren lange Zeit ein Volk von Niemanden. Und heute gibt es eine große Bewegung, sie alle lernen Wiradjuri. Ich habe dafür alles getan, was ich konnte.” (Stan Grant Sr)
Weitere Bücher der Autorin:
Swallow The Air. (Verschlucke dir Luft) University of Queensland Press. 2006
After The Carnage. (Nach dem Gemetzel) University of Queensland Press. 2016
Weitere Autorinnen aus Australien:
Glenda Adams
Jessica Anderson
Thea Astley
Stella Maria Sarah Miles Franklin, kurz Miles Franklin
Anna Funder
Kerry Greenwood (Phryne Fisher)
Germaine Greer (Der weibliche Eunuch)
Traci Harding
Shirley Hazzard
Elizabeth Jolley
Michelle de Kretser
Sofie Laguna
Louisa Lawson
Melissa Lucashenko
Jennifer Maiden
Liane Moriarty
Sally Morgan
Oodgeroo Noonuccal
Elizabeth O'Conner
Nettie Palmer
Ruth Park
Doris Pilkington Nugi Garimara war die erste indigene Schriftstellerin, die die unmenschlichen Maßnahmen zur „Umerziehung“ nicht „reinrassiger“ Australier thematisierte.
Henry Handel Richardson (Pseudonym von Ethel Florence Lindsay Richardson)
Kim Scott
Brenda Walker
Josephine Wilson
Tara June Winch
Alexis Wright
Judith Wright
Evie Wyld
Links zur Autorin
https://www.54books.de/tara-june-winch-the-yield/
https://www.theguardian.com/books/2019/jul/11/tara-june-winch-the-yield-andrew-bolt-unmissables
Links zum Thema
https://www.bbc.com/news/world-australia-54700074
https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Massaker_an_Aborigines
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