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Bhutan

 

 

Ihr Lieben,

unsere heutige Reise führt uns weit nach Asien, in ein Land, dessen Drache auf der Fahne bereits jede Menge Glück und Wohlstand  verheißt: Bhutan.

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schon sehr früh in der Geschichte des Landes waren die bhutanesischen Könige der Meinung, dass nur glückliche Untertanen auch loyale Untertanen sein konnten. 2008 verankerte die Regierung das Streben nach dem Bruttosozialglück sogar in der Verfassung. Dass die Sache mit dem Glück aber nicht ganz so einfach ist und auch nicht für alle gleichermaßen gilt, zeigt Kunzang Choden in dem Buch, das ich für die heutige Reiselektüre ausgesucht habe:

Kunzang Choden: The Circle of Karma. Penguin Books 2005

Die niederländische Ausgabe heißt „Tsomo’s Karma“, eine deutsche gibt es leider nicht.

 



 







       

 

Rezension

In diesem Buch geht es um die Lebensgeschichte von Tsomo, einer ungewöhnlichen Frau aus dem ländlichen Bhutan. Wie alle anderen Frauen ihres Dorfes in den 1950ern lernt sie weder lesen, noch schreiben und muss schon als Kind hart arbeiten. Sie durchlebt zwei Ehen mit Männern, die sich ohne weitere Umstände von ihr trennen, sobald sie ihnen „nicht mehr gefällt“. Doch dann beginnt Tsomo, ihr „Karma“ selbst in die Hand zu nehmen.

Sie ist etwas über Zwanzig als sie vor dem perspektivlosen Leben in ihrem Dorf davonläuft. Die Stadt Thimphu verspricht Freiheit, doch Tsomo ist mittellos. Mangels anderer Optionen nimmt sie einen Job im Straßenbau an, wo sie den ganzen Tag nichts anderes tut, als Fels abzuschlagen und so lange zu zerkleinern, bis nur noch noch Kies übrig ist. Ohne jede schulische oder berufliche Ausbildung glaubt sie, keine andere Möglichkeit zu haben, Geld zu verdienen. Nur die Freundschaften, die sie schließt, und die Vision irgendwann weiterzuwandern, helfen ihr durchzuhalten.

Sobald Tsomo genug Geld zur Seite gelegt hat, bricht sie erneut auf und landet zunächst in Kalimpong, einer Stadt im Gebiet des Himalayas. Eine Pilgerreise der besonderen Art beginnt. Da Tsomo arm ist, folgt sie keiner vorbestimmten Route. Meist ergibt sich eine Gelegenheit und bringt sie voran. Beispielsweise bieten andere Reisende ein, sie zu begleiten. So kommt sie ein großes Stück weiter, weil die Gemeinschaft der alleinreisenden Frau eine gewisse Sicherheit bietet. Es gibt aber auch Phasen, in denen sie einfach dort bleibt, wo es gerade Arbeit gibt - und damit Geld und eine Unterkunft. Ihr grüner Daumen, Webarbeiten und ihre Fähigkeit, den berühmten bhutanesischen Likör herzustellen, ermöglichen es ihr, sich überall über Wasser zu halten.

Ihr Karma führt sie schließlich zu einigen der berühmtesten buddhistischen Tempel in Nepal und Indien. Überall erweitert sie ihr Wissen durch die Bekanntschaft mit den unterschiedlichsten Menschen. Die wichtigste Begegnung erlebt Tsomo schließlich im tibetischen Dehradun, wo der Rinpoche (ein tibetischer Ehrentitel) sie nicht nur von einer Krankheit heilt, die sich schon jahrelang quält, sondern auch dazu inspiriert, buddhistische Nonne zu werden. 

Am Ende hat sich Tsomos Leben grundlegend verändert: Aus der ungeliebten Ehefrau wird die Nonne Ani Samphela, die in ihrem Glauben auch Freiheit und Glück findet - gutes Karma eben! 

Das Buch lässt sich gut lesen, wenn man von ein paar merkwürdigen Übergängen absieht, und man erfährt viel über die Landschaften von Bhutan, das Alltagsleben und religiöse Rituale. Interessant fand ich, dass das Klischee, Asiaten hätten in jeder Lebenslage ein erleuchtendes Sprichwort zur Hand, an einigen Stellen aufgegriffen und ins Gegenteil verkehrt wird. Vielfach entspringen diese Sprichwörter nämlich nicht einer höheren Bewusstseinsebene, sondern zementieren einfach nur den status quo. Als Tsomo betrogen wird, muss sie sich beispielsweise anhören, dass "Frauen, die sich gut genug um ihre Männer kümmern, nicht betrogen werden". 

Ganz zwangsläufig stellt sich bei der Lektüre die uralte Frage ein, was denn Glück überhaupt ist. Kann Glück schon die Abwesenheit von Angst, Not und Schmerz sein? Schmerzpatienten würden das wahrscheinlich so sehen. Oder ist Glück das, was wir in unserer Wohlstandsgesellschaft gemeinhin als Zufriedenheit bezeichnen? Viele Menschen streben nicht wirklich nach gewaltigen emotionalen Ausschlägen. Sie wünschen sich vor allem, dass Schicksalsschläge, also Unglück, ausbleiben. Vielleicht ist Glück im engeren Sinne aber  doch das ekstatische Ausnahmegefühl, das wir in der Liebe oder im Rausch erleben? 

Und welches Kharma führt nun zum Glück? Mir gefällt der englische Titel "The Circle of Karma" in diesem Zusammenhang wieder einmal besser, weil es vermutlich auch beim Glück um den kompletten Zyklus geht. Ihr wisst schon: Nur wo Schatten ist, ist auch Licht und so. Ohne das Negative kann man das Positive gar nicht richtig würdigen. Und bevor ich am Ende zu sehr wie ein Glückskeks klinge, lest doch einfach selbst....

 

Leseprobe

Viele dieser sterbenden Blüten lassen Früchte zurück. Denk nur an all die Samen, die wir säen können. Anders als wir Menschen, geben Bäume alles, was sie haben. 
Niemals halten sie etwas zurück oder planen genau, was sie verschenken und was sie nicht hergeben wollen. 


Facts zur Autorin:

Kungzang Choden ist die erste bhutanesische Autorin, deren Romane ins Englische übersetzt wurden.

Während der ersten Covid19-Welle 2020 las Kungzang Choden die Märchen und Sagen, die sie seit langem sammelt, auf YouTube vor, um den Kinder ihres Landes den Lockdown erträglicher zu machen. Chodens Tochter, die Filmemacherin Dechen Rode, unterstützte ihre Mutter bei dem Projekt.

 

Weitere Bücher der Autorin:

Folktales of Bhutan (1994)

Bhutanese Tales of the Yeti (1997)

Dawa: The Story of a Stray Dog in Bhutan (2004)

The Circle of Karma (2005)

Chilli and Cheese- Food and Society in Bhutan (2008)

Tales in Colour and other stories (2009)

Membar Tsho - The Flaming Lake (2012)

 

Weitere Autorinnen aus Bhutan

Leider habe ich keine anderen Autorinnen gefunden. Es gibt offenbar viel mündlich Überliefertes, aber eine Literatur in der bhutanesischen Sprache hat sich wegen der Dominanz des Englischen lange nicht etablieren können.

 

Infobox

Interessant finde ich, dass es Reiseangebote gibt, die es Frauen  ermöglichen, auf den Spuren Tsomos zu wandeln. Ein Besuch bei  Kunzang Choden ist inklusive. Ich glaube, das könnte mein nächster Reiseplan in Post-Covid-Zeiten werden. Außerdem möchte ich ein Land, das seine Politik nicht am Bruttoinlandsprodukt, sondern am "Bruttoinlandsglück" orientiert, unbedingt einmal selbst erleben.

 

Links zur Autorin

Down memory lane with writer Kunzang Choden, Part 2 - Bing video

Bhutan : Kunsang Choden a feminist voice - Bing video 

 

Links zum Buch

https://tashichenzom.blogspot.com/2016/02/the-circle-of-karma-by-kunzang-choden.html

https://thegloballycurious.blogspot.com/2015/10/the-circle-of-karma-by-kunzang-choden.html

 

Links zum Land
Staatsziel Glück (Archiv) (deutschlandfunk.de)

Bhutan: Glück statt Wachstum als Regierungsziel - WELT

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