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Nona Fernández: Space Invaders / Chilean Electric. Übersetzt von Anna Gentz. Septime Verlag. Wien 2018
Rezension
Der Septime Verlag hat in diesem Band zwei Kurzromane von Nona Fernández zusammengefasst. Mir hat vor allem die Umsetzung bei Chilean Electric sehr gut gefallen, daher werde ich mich auf dieses Werk beschränken, über dieses Werk zu schreiben. Die Autorin verknüpft hier sehr geschickt und auf mehreren Ebenen die Elektrifizierung Santiago de Chiles mit der Lebensgeschichte der zwei Protagonistinnen - der Erzählerin und ihrer Großmutter.
Statt Gute-Nacht-Geschichten lauscht die Enkelin seit frühester Kindheit abends im Bett den Erinnerungen ihrer Großmutter. Eine Lieblingsgeschichte der beiden handelt von dem Tag, an dem in der Hauptstadt Santiago auf dem Plaza de Armas zum ersten Mal elektrisches Licht eingeschaltet wurde. Die Familie fühlt sich mit diesem Ereignis in besonderer Weise verbunden, denn die Elektrifizierung der Innenstadt hatte Mitarbeiter eines deutschen Unternehmens nach Chile gebracht. Einer dieser Techniker aus dem fernen Deutschland lebte für die Zeit seines Aufenthaltes mit einer chilenischen Frau zusammen. Aus dieser Verbindung gingen vier Kinder hervor. Die zweitjüngste, ein schüchternes blondes Mädchen, war die Großmutter.
Spannend finde ich vor allem, wie es der Autorin gelingt, die Geschichte des Landes im Schicksal einer Familie oder sogar in einer einzigen Person zu spiegeln. Chiles Völkermix zeigt sich in den Geschwistern der Großmutter: "Zwei Schwarzhaarige mit blauen Augen, ein blondes Mädchen mit krausen Haaren und als letztes ein Rotschopf." Die immer wieder kehrende Parallelmontage zwischen dem Land und der Großmutter wird den Lesenden vor allem dann bewusst, wenn Irritationen sowohl bei der alten Frau als auch in Chile auftreten. Eines Abends sieht die Enkelin ihre Großmutter beispielsweise zufällig beim abendlichen Umkleiden und entdeckt voller Entsetzen, dass die alte Dame keinen Bauchnabel hat. Und obwohl sich das Mädchen extrem unwohl fühlt mit einer Oma ohne Mittelpunkt, spricht sie ihre Großmutter nicht auf die Besonderheit an, sondern bewahrt über viele Jahre das seltsame Geheimnis. Sowohl die unangenehmen Gefühle und die Hilflosigkeit, als auch das Schweigen sind genau die Reaktionen, die die chilenische Bevölkerung auf den Plaza de Armas, den "Nabel" der Hauptstadt, zeigt.
Obwohl an diesem Ort im Laufe der chilenischen Geschichte viel Blut geflossen ist - beispielweise war die Enkelin selbst Zeugin, wie ein Junge getötet wurde - scheint über die Greueltaten wie über dem Nabel der Großmutter eine Hülle des Schweigens zu liegen. Die guten Erinnerungen bleiben, von Fotografen und Schaukelpferden, von Festen und der "Erleuchtung". Tatsächlich macht es sich nach einiger Zeit die Erzählerin zur Aufgabe, Licht in das Dunkel der Geschichten zu bringen. Dabei wird sie oft geblendet und erlebt auf der Suche nach der Wahrheit so manchen "Kurzschluss". Die Großmutter war beispielsweise noch lange nicht geboren, als das elektrische Licht nach Chile kam. Auch war sie durchaus keine einfache Sektretärin, sondern Geheimnisträgerin. Sie hatte die Briefe, Protokolle und Erlasse getippt, die so schreckliche Auswirkungen hatte und von denen später niemand mehr etwas wissen wollte.
Das Buch macht die Sehnsucht der Menschen deutlich, sich mit der Vergangenheit zu verbinden, um daraus Kraft für die Gegenwart und Hoffnung für die Zukunft zu schöpfen. Aber nicht jede Vergangenheit ist als Energiequelle geeignet. Deshalb gehört zum Licht der Wahrheit häufig auch der Schatten der Vertuschung. Wenn niemand einen Scheinwerfer auf den Makel richtet, dann bleibt er so lange im Schatten der Geschichte bis alle Zeugen gestorben sind. Autofiktion auf der privaten Ebene kann einem einzelnen Menschen schaden. Die Enkelin suchte beispielsweise als Kind jahrelang die Straßenlampen der deutschen Elektrizitätsfirma auf, um ihren Wurzeln nah zu sein und was sehr verletzt als sich die Story als reine Fiktion entpuppte. Auf Landesebene wird Schweigen jedoch zur Geschichtsklitterung und verletzt nicht nur gegenwärtige, sondern auch künftige Generationen.
Leseprobe
Das Licht strahlte viel heller als das der Öllampen. Es war richtiges Licht. Licht, das die Gesichter der Leute mitten in der Nacht zum Vorschein brachte. Die Einwohner von Santiago hatten sich noch niemals zuvor so gesehen. Der rothaarige Bruder war unter den Laternen sogar noch rothaariger. Das Licht potenzierte die Farben, die Formen, brachte neue Dimensionen eines jeden zum Vorschein, das Beste oder das Schlechteste. Die Leute näherten sich den Laternen und lächelten unter den Glühbirnen, als sie ihre eigenen erleuchteten Körper betrachteten, sie zur Schau stellten wie jemand, der seine neuen Kleider zeigt.
Das blonde Mädchen war noch sehr klein, und sie erzählte mir, dass sie das alles beobachtet habe, ohne die Hand ihrer Mutter loszulassen, da es ihr nicht gelungen sei zu verstehen, was da passierte. Das Leuchten der Lampen war so stark, dass es die Schatten auf de Platz verschwinden ließ. Wo man auch hinschaute, es gab keine mehr, alle waren vom Licht aufgefressen worden, so erzählte sie mir.
S. 87
Facts zur Autorin
Nona Fernández (eigentlich: Patricia Paola Fernández Silanes) ist nicht nur Autorin, sondern auch Schauspielerin und Drehbuchautorin. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Schriftsteller und Theaterregisseur Marcelo Leonart, leitet sie ihre eigene Theatergruppe „La Fusa“. Fernández hat sich selbst in einem Interview wie folgt beschrieben: „Ich bin Schauspielerin aus Freude. Erzählerin, um Ärger zu machen und nicht zu vergessen, was in Erinnerung bleiben sollte. Stückeschreiberin für Soaps bin ich, weil es nötig ist. Eine unbequeme Chilenin, manchmal sogar rasend.“
Weitere Bücher der Autorin
Romane
2002 Mapocho, Planeta (dt. Ausgabe: Die Toten im trüben Wasser des Mapocho)
2007 Av. 10 de Julio Huamachuco, Uqbar (dt. Ausgabe: Die Straße zum 10. Juli)
2012 Fuenzalida, Mondadori, Santiago
2013: Space invaders, Alquimia, Santiago
2015: Chilean Electric, Alquimia, Santiago
2016: La dimensión desconocida, Penguin Random House, Santiago
Kurzgeschichten
2000: El Cielo, Cuarto Propio. Santiago (dt. Ausgabe: Der Himmel)
In Anthologien
1994 Música ligera
1996 Pasión por la música
1997 Cuentos extraviados
1998 Queso de cabeza y otros cuentos
Weitere Bücher der Autorin
Die Toten im trüben Wasser des Mapocho
Die Straße zum 10. Juli
Der Himmel
Preise
1995 Erster Platz der Gabriela Mistral Literary Games für die Geschichte Marsellesa
1996 Erster Preis im Passion for Music Literaturwettbewerb
2003 Santiago Minicipal Literarurpreis für Mapocho
2006 Altazor Preis für das TV Script für Los treinta
2008 Altazor Preis für das TV Script für Alguien te Mira
2008 Santiago Minicipal Literarurpreisfür Av. 10 de Julio Huamachuco
2012 Altazor Award für das TV Script für Los archivos del cardenal
2013 Altazor Award Beste Dramaturgie für El taller
2016 Preis des Nationalrats für Kultur und Künste in der Kategorie Bester Roman für Chilean Electric
2017 Sor Juana In´s de la Cruz Preis für La dimensión desconocida
Weitere Autorinnen aus Chile
Isabel Allende
Maria Luisa Bombal
Marta Brunet
Trini Decombe
Diamela Eltit
Raquel García Lemaitre
Carla Guelfenbein
Brenda Hughes
Gabriela Mistral
Karen Toro
Matilde Urrutia
Mercedes Valdivieso
Ana Vásquez
Cecilia Vicuña
Virginia Vidal
Links zur Autorin
https://www.popmatters.com/nona-fernandez-twilight-zone
Nona Fernandez Interview | interdram
Links zum Buch
REVIEW OF NONA FERNANDEZ’ NOVEL “CHILEAN ELECTRIC” – Maria Rossi – The dreaming machine
Chilean Electric - Words Without Borders
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