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Ein ganzes Jahr Lesereise ....

 

Ihr Lieben,

nun sind wir tatsächlich schon ein ganzes Jahr gemeinsam in der Welt unterwegs und lesen Bücher von den Autorinnen naher und ferner Länder. Im Alphabet sind wir gerade einmal bis G vorgedrungen, das heißt: Es liegt noch einiges vor uns. Das Lesen in alphabetischer Reihenfolge hat sich für mich übrigens als sehr angenehm erwiesen. Es gab ein festes Ziel, ich konnte mich um schwierig zu recherchierende Literatur nicht drücken und das Leseerlebnis bleibt einfach sehr bunt und vielgestaltig, wenn man frei von Kontinent zu Kontinent springt.

Auf jeden Fall ist es mir ein Bedürfnis, nach diesem Jahr eine erste Zwischenbilanz zu ziehen. Die Bücher, die wir kennengelernt haben, zeigen die ungewöhnlichsten Schicksale. Frauen, die im Überfluss untergehen und solche, die ihre Familien in schrecklichen Zeiten der Armut durchbringen müssen; junge Mädchen, die mit der Liebe experimentieren, oder solche, die gegen ihren Willen verheiratet werden; Frauen, die als Männer leben, weil sie es wollen oder weil sie es aus wirtschaftlichen Gründen tun müssen; Frauen, die in Angst leben, weil sie ständig attackiert werden, und solche, die Angstattacken ohne äußerlich ersichtlichen Grund erleiden.

Unter den vorgestellten Werken gibt es hervorragende Literatur und Werke, die uns einfach wegen des unglaublichen Inhalts berühren (im besten Fall natürlich beides). Manch ein Buch war mühsam zu erarbeiten wegen der sprachlichen Barrieren, andere schwer zu ertragen wegen des grausamen Inhalts. Trotzdem hat es mich enorm bereichert, aus meiner Komfortzone herauszulesen. Manche Bücher habe ich vor mir hergeschoben und erst im letzten Moment vor dem Blogtermin gelesen, weil ich dachte, dass ich unter Corona-Bedingungen nicht noch ein weiteres Werk mit leidvollem Inhalt ertragen kann.

Andererseits sind selbst die Werke mit den dramatischsten Inhalten Bücher von Surviverinnen. Denn diejenigen, die über das Schreckliche berichten können, haben ja überlebt. Der Mut und die Stärke dieser Frauen und Mädchen beeindruckt und auf diese Weise ist viel Tröstliches in der Lektüre zu finden. Natürlich habe ich auch immer Ausschau nach Büchern mit einem fröhlicheren Grundton gehalten, die mir die Frauen in einem Land näherbringen. Und tatsächlich gibt es viel Fröhliches, Komisches und Ironisches zu finden. Ich frage mich, wieviel mehr davon zu entdecken wäre, wenn es mehr Übersetzungen gäbe. Leider waren es in der Vergangenheit sehr spezielle Produkte, die zu uns oder in den angelsächsischen Buchmarkt gelangten – Die Beschreibung extremer Situationen, die die europäische oder auch amerikanische (vielfach männliche) Sichtweise zu bestätigen schienen: Anderswo ist es schlimm. Sei froh, dass Du hier lebst!

Frauen in Amerika und Europa haben das vermutlich über Generationen verinnerlicht und immer geglaubt, dass wir hier bereits im Großen und Ganzen emanzipiert seien. „Feminismus“ und „Emanzipation“ wurden zu etwas Abstraktem, möglicherweise nur in der Vergangenheit bedeutsam. Neue Generationen glauben vielleicht, es sei schon alles erreicht, frau konnte sogar Kanzlerin werden. Von der „Gläsernen Decke“ hört man hier oder da, aber nur die, die sich ihren Kopf daran stoßen, nehmen sie wirklich war. Da ist es toll, wenn Autorinnen wie zum Beispiel afrikanische Autorinnen wie Orkane durch die aufgeräumten Buchmessen Europas fahren (noch vor der Pandemie) und Emanzipation mit Nachdruck und geballter Faust einfordern. Raus aus der Wohlfühlzone kann auch heißen, den Blick zu für das Eigene zu schärfen, an all die Dinge, an die wir uns bereits gewöhnt haben. Das erste Lese-Jahr war unglaublich spannend, aber ich bin sicher, im zweiten gibt es mindestens genau so viel zu entdecken.

Allerdings möchte ich die Gelegenheit ergreifen, auch noch anmerken, was mich während der gesamten Recherche wahnsinnig gemacht hat. Es ist mir, bevor ich diesen Blog begonnen habe, nicht bewusst gewesen, wie frauenfeindlich Google, Wikipedia und Co inklusive der allgegenwärtigen Algorithmen sind. Natürlich gibt es mittlerweile immer mehr Stimmen, die das kritisieren, aber auch die verstehe ich erst so richtig, seit ich mich regelmäßig ärgern muss. Ich gebe mal ein paar Beispiele, damit ihr versteht, was ich meine.

Wenn man gar keine Ahnung von der Literatur eines Landes hat, ist natürlich ein erster möglicher Schritt der Zugriff über Google. Sucht man dort unter dem Stichwort Autorin/Schriftstellerin und dem Land, erhält man manchmal ein paar konkrete Hinweise, wenn die Länder gerade bei einer Buchmesse zu Gast waren. 

Immerhin gibt es fast zu jedem Land eine Liste der Publizierenden, was für einen ersten Eindruck schon ganz hilfreich ist. Leider werden aber Autorinnen nicht getrennt gelistet, sodass ich immer alle SchriftstellerInnen einzeln überprüfen musste. Und da reicht es nicht aus, sich einfach an den Vornamen zu orientieren. Namen in anderen Sprachen sind logischerweise nicht zu identifizieren und müssen nachgeschlagen werden, manche Vornamen sind geschlechterneutral und dann muss man natürlich auch bedenken, dass zahllose Frauen zu allen Zeiten unter männlichen Pseudonymen geschrieben haben. Das ist auch der Grund, weswegen ich die Schriftstellerinnen der Länder auch aufgelistet habe. Zumindest hier kann man sie mal separat von ihren männlichen Kollegen auffinden.

Natürlich gibt es auch Länder, z.B. Deutschland, in denen sich jemand die Mühe gemacht hat, eine Liste für Autorinnen getrennt zu führen. Im Gesamt-Angebot zum Thema Schriftsteller wirkt diese allerdings trotzdem wie ein Randgruppen Angebot:

 

Deutschsprachige Schriftsteller: A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z

Siehe auch

Portal: Deutsche Literatur – Übersicht zu Wikipedia-Inhalten zum Thema Deutsche Literatur

Deutsche Literatur

Liste deutschsprachiger Autorinnen

Liste deutschsprachiger Lyriker

Liste deutschsprachiger Dramatiker

Liste deutsch-türkischer Schriftsteller

Liste von Schriftstellern der DDR

Liste österreichischer Autoren

Liste Schweizer Schriftsteller

Liste von Autoren (international)

An sich sollte man ja erwarten dürfen, dass es entweder eine Gemeinschaftsliste für männliche und weibliche LyrikerInnen, DramatikerInnen, SchriftstellerInnen etc. gibt – oder dass es eben parallel neben den Listen der männlichen Schreibenden eine Lyrikerinnen-Liste, eine Dramatikerinnen-Liste etc. geben müsste. Dasselbe gilt natürlich für die Publizierenden der LGBTQ-Community. Natürlich kann man der Meinung sein, dass es doch schon ein Fortschritt ist, dass es diese Liste der Autorinnen gibt. Ja, kann man – aber mit Gleichberechtigung hat das nichts zu tun.

Wer das schon unangenehm findet, der sollte sich mal Gedanken über die Nutzung von Suchmaschinen ganz allgemein machen. Ich habe dazu ein kleines Experiment gemacht: Zunächst gebe den Begriff "Männer" und dann jeweils den Namen eines der besuchten Länder ein. Als Angebot erhalte ich eine Fülle von verschiedenen Einträge aus Politik, Gesellschaft und Sport - was eben gerade heute die Männer dieser Welt bewegt. 

Gebe ich allerdings „Frauen“ und die Landesnamen ein, werde ich von einer Fülle von Heirats-,Sex,-Dating-Einträgen zugemüllt (selbst wenn ich die als Anzeigen gekennzeichneten Texte ignoriere). Untersuche ich jeweils die ersten drei Einträge zu jedem Land komme ich auf 64 "Dating"-Einträge (Ich wähle mal dieses freundliche Wort), während sich nur 40 mit relevanten Frauenthemen beschäftigen (Wirklich redaktionelle Themen scheinen es aber nur nach oben zu schaffen, wenn es den beschriebenen Frauen besonders schlecht geht und sie um ihre Rechte kämpfen müssen. Fast völlig fehlen positive Nachrichten, Erfolge von Frauen etc. Die dritthäufigste Nennung sind Frauen im Sport, wobei der Frauenfussball mit zwölf Einträgen von insgesamt vierzehn offenbar auf das größte Interesse stößt. Ein kleiner Rest entfällt auf Skurriles und Sonderbares. Wie es scheint, nimmt man uns im Netz vor allem als Heirats- oder Sexmaterial wahr. 

Natürlich könnte man unterstellen, dass mein kleiner Test ein zeitlich begrenzter Blick auf das Internet ist und ich durch das ständige Eingeben des Begriffs"Frauen" den armen Algorithmus auf eine falsche Spur gelockt habe. Aber das Argument zieht natürlich nicht. Dieser Algorithmus ist schon systemisch fehlgeleitet und sollte dringend analysiert und "umerzogen" werden. Die zweifelhafte Geschäftsidee der internationalen Partnervermittlung sollte im Internet auf keinen Fall diese automatisierte Präsenz erhalten dürfen. Der Begriff "Frauen" sollte in diesem Zusammenhang einfach nicht mehr verwendet werden dürfen. Welche tollen Artikel über Frauen könnten dann direkt auf der ersten Seite angezeigt werden, ohne dass wir Lensenden uns an zweideutigen Angeboten und teileweise pornografischen Inhalten entlangscrollen müssen. 

Als Beleg habe ich Euch mal die Links mit den Frauenthemen zusammengestellt (zu den Datingseiten verlinke ich natürlich nicht). Ich wollte mir diese Arbeit eigentlich nicht machen und Euch das Lesen auch nicht zumuten. Aber dann dachte ich mir, dass wir uns in der Regel nicht klarmachen, wie im Internet mit uns umgegangen wird. Online-Misogenie, wie sie sich in Hate-Kommentaren niederschlagen, sind nur die Spitze des Eisberges.

 

Neben dem Systemischen und Statischen vielleicht noch ein Wort zum Inhaltlichen. Mir ist aufgefallen, dass die Frauen-Bios in Wikipedia häufig sehr abwertende Tendenzen zeigen. Mal abgesehen davon, dass bei Männern der berufliche Werdegang und die eigenen Leistungen im Vordergrund steht, während bei den Frauen oft als wichtig angesehen wird, welche Väter, Brüder oder Ehemänner eine Frau hatte. Diese unterschwelligen Unterstellung, dass die Frau es wohl ohne diese Männer nicht „geschafft“ hätte, kennen Frauen ja schon zur Genüge. Trotzdem sollte man doch annehmen, dass sich dieser unangemessene Blickwinkel längst überholt hätte, zumal ja auch Frauen an der Wikipedia mitschreiben. Mich hat dann doch verblüfft zu lesen, dass es offenbar einige fleißige Frauenhasser gibt, die Biografien „umschreiben“.

Hier mal als Beispiel der jeweils erste Absatz aus dem Artikel über Jean Rhys:

 

Wikipedia Englisch

Jean Rhys, CBE (/riːs/;[3] born Ella Gwendolyn Rees Williams; 24 August 1890 – 14 May 1979) was a British novelist who was born and grew up in the Caribbean island of Dominica. From the age of 16, she was mainly resident in England, where she was sent for her education. She is best known for her novel Wide Sargasso Sea (1966), written as a prequel to Charlotte Brontë's Jane Eyre.[4] In 1978, she was appointed a Commander of the Order of the British Empire (CBE) for her writing.

Early life

 

Rhys's father, William Rees Williams, was a Welsh doctor and her mother, Minna Williams, née Lockhart, a third-generation Dominican Creole of Scots ancestry. ("Creole" was broadly used in those times to refer to any person born on the island, whether they were of European or African descent, or both.) She had a brother. Her mother's family had an estate, a former plantation, on the island.

 

Rhys was educated in Dominica until the age of 16, when she was sent to England to live with an aunt, as her relations with her mother were difficult. She attended the Perse School for Girls in Cambridge,[5] where she was mocked as an outsider and for her accent. She attended two terms at the Royal Academy of Dramatic Art in London by 1909. Her instructors despaired of her ever learning to speak "proper English" and advised her father to take her away. Unable to train as an actress and refusing to return to the Caribbean as her parents wished, Williams worked with varied success as a chorus girl, adopting the names Vivienne, Emma, or Ella Gray. She toured Britain's small towns and returned to rooming or boarding houses in rundown neighbourhoods of London.[5]

After her father died in 1910, Rhys appeared to have experimented with living as a demimondaine. She became the mistress of wealthy stockbroker Lancelot Grey Hugh Smith, whose father Hugh Colin Smith had been Governor of the Bank of England.[6] Though a bachelor, Smith did not offer to marry Rhys, and their affair soon ended. However, he continued to be an occasional source of financial help. Distraught by events, including a near-fatal abortion (not Smith's child), Rhys began writing and produced an early version of her novel Voyage in the Dark.[5] In 1913, she was self-employed for a time in London.

During the First World War, Rhys served as a volunteer worker in a soldiers' canteen. In 1918, she worked in a pension office.

 

Wikipedia Deutsch

Rhys war die Tochter eines walisischen Vaters und einer kreolischen Mutter. Sie wuchs in der Karibik auf und kam 1907 nach England, wo sie erst einmal Revuegirl in der englischen Provinz war. Nach dem Tod ihres Vaters 1910 lebte Jean Rhys am Rande der Armut. Sie beschäftigte sich mit Kunst und Literatur, arbeitete als Aktmodell und lebte von dem Geld verschiedener Männer.

 

Es ist schon bemerkenswert, wie hier durch reine „Kürzung“ eine hochdekorierte Autorin mit einem Lebensweg voller Widerstände auf ein das Abziebild eines  Revuegirls und Nacktmodells mit leichten Lebenswandel reduziert wird.

Was also tun, wenn jetzt auch schon Künstliche Intelligenzen und Algorithmen Frauenfeindlichkeit inhaliert haben? Eigentlich wäre natürlich auch hier dringend politisches Handeln nötig. In der Zwischenzeit kann ich allen nur raten: Schreibt selbst im Internet. So viel und so vielfältig wie möglich. Schreibt einfach mehr als die zornigen Männer. Und alle Frauen, die jetzt sagen, dass sie dazu keine Zeit haben, denen rate ich einen oder zwei Blicke in die Geschichte. Wir haben schon viel zu oft zu wenig Zeit gehabt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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