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Gabun

 

Liebe Lesende,

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Gabun

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

Angèle Rawiri: The Fury and Cries of Women. Übersetzt ins Englische von Sarah Hanaburgh. 2014

Original: Fureurs et cris de femme. 1989

 


 

 

 

 

 

 

 

Rezension

Wer bei dem Titel erwartet hat, einmal mehr von der Ausbeutung der Frauen im traditionell geprägten, ländlichen Afrika zu lesen, der muss sich gleich auf der ersten Seite auf eine andere Geschichte einstellen: auch die moderne Frau hat ihr Päckchen zu tragen. Die Protagonistin, Emilienne, ist eine typische Städterin, die in einer (imaginären) Metropole in Afrika lebt. Sie ist bestens ausgebildet und bekleidet einen gutbezahlten Job. Außerdem ist sie mit dem Mann verheiratet, den sie liebt, und hat eine reizende Tochter. Alles könnte wunderbar sein, ist es aber nicht. Denn Emilienne leidet darunter, ihrem Mann keinen Sohn schenken zu können. Sie versucht seit Jahren, ein zweites Mal Mutter zu werden, aber ohne Erfolg. Dieses "Versagen als Frau" zehrt nicht nur an ihrem Selbstwertgefühl, es nährt auch die  Angst, ihr Ehemann könnte sich permanent einer Geliebten zuwenden, um mit ihr eine Familie zu gründen.

In all dies werden wir schon gleich zu Beginn des Romans eingeführt - oder besser hineinkatapultiert. Direkt im ersten Kapitel wird Emilienne während eines geschäftlichen Meetings von schrecklichen Schmerzen gepeinigt. Sie schafft es gerade noch nach Hause und hat dort - unbemerkt von allen anderen - eine Fehlgeburt.

Sie hat sich noch nicht von diesem Schrecken erholt, als ihr Mann nach Hause kommt und die Nachricht mitbringt, dass die Tochter an diesen Tag nicht in der Schule war. Er hatte sie nach wochenlanger Abwesenheit wieder einmal abholen wollen, aber das Kind war nicht da und schon bald wird klar, dass das Mädchen einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen ist.

Die ganze Hölle, die Emilienne nicht nur an diesem Tag, sondern schon seit Jahren durchmacht, wird im Folgenden ausgebreitet: Die beiden Eheleute stammen aus unterschiedlichen Volksgruppen, die einander ablehnen. Von Anfang an waren beide Familien gegen die Heirat. Während Emiliennes Verwandte die Beziehung schließlich zähneknirschend tolerierten, arbeitet die Schwiegermutter, die in Emiliennes Haushalt lebt, noch immer ungebrochen gegen sie. Gerade erst hat sie versucht Emiliennes treue Hündin Roxanne mit einer Machete zu töten. Möglicherweise ist sie sogar für die Fehlgeburten verantwortlich, indem sie den Koch bestochen hat, entsprechende Gifte in das Essen der verhassten Schwiegertochter zu mischen.

Neben der feindseligen Alten leben noch die Söhne der Schwägerin bei Emilienne. Der neue Ehemann duldet die Jungen aus erster Ehe nicht im Haus. Emilienne hat die Jungen ihrem Mann zuliebe aufgenommen, mit der Zeit werden sie jedoch mehr und mehr ein Mahnmal für ihre eigene Unfähigkeit, Söhne zu gebären.

Emilienne trauert um ihre Tochter, aber der Verlust des Mädchens, das sie großgezogen hat, scheint sie nicht viel mehr zu erschüttern als der Verlust der unbekannten Embryonen. Sie fühlt sich nun völlig steril und nicht mehr als Frau. Es trifft sie hart, dass ihr Ehemann schließlich zu seiner Geliebten zieht. Die Schwiegermutter, die die Beziehung zu der Geliebten gern legalisiert sehen möchte, glaubt sich ihrem Ziel schon ganz nahe.

Es gibt noch jede Menge Verwicklungen bis Emilienne sich aus diesem Tiefpunkt in ihrem Leben herausarbeitet. Ich möchte hier nicht alles ausbreiten, denn es lohnt sich, das Buch selbst zu lesen. Hier mal eine Textprobe, die deutlich macht, wie nahtlos das neue Afrika offenbar die "Traditionen" des alten weiterführt.   


Leseprobe

'Wie war nochmal der Name des afrikanischen Soziologen, der ausführlich darlegte, dass der moderne Mann drei Frauen gleichzeitig benötigt, um wirklich ausgeglichen zu sein? Zunächst einmal braucht er eine Frau, die er als Teil seiner selbst versteht, als Spiegelbild seiner Mutter, die ihn beruhigt, tröstet und darüber wacht, dass es ihm gut geht. Dann gibt es seine Dauergeliebte, die die Rolle der Vertrauten und Ratgeberin spielt und sein Glücksbringer ist. Und schließlich gibt es noch die Kurzzeit-Geliebte, die seine Fantasie anregt und ihn von Zeit zu Zeit sich selbst vergessen lässt, bevor er frisch belebt in die Arme seiner Frau zurückkehrt. Ohne diese drei Frauen, das behauptet zumindest der Soziologe, verliert der Mann sein inneres Gleichgewicht.'

Emilienne war voller Sarkasmus: 'Seine Männlichkeit, sein Machismo, ist bedroht. Wir haben nur dieses eine Leben, deshalb müssen wir es zur Gänze nutzen, stimmts? Sind die Männer dann aber nicht vergleichbar mit all denen, die unter dem Vorwand das Leben zu genießen, alles im Exzess tun? Macht sich Joseph denn nicht klar, wie viel Leid er mir zufügt? Und früher oder später werden auch diese armen Frauen anfangen zu leiden, wenn sie den einen, der ihnen am wichtigsten ist, nicht mehr teilen wollen.

Emilienne lächlte traurig und führte ihren Monolog in  beißenderem Ton fort: 'Dieser sogenannte moderne Mann, der so schrecklich viel Liebe und Aufmerksamkeit braucht, ist zwischen drei Frauen eingezwängt! Wie eine Wahnsinnige fordert die Ehefrau ihre legitimen Rechte ein, während sich die Dauergeliebte und die Geliebte an ihn klammern. ... Diese kollektive Revolte macht den Mann zu einem armen Opfer, unverstanden und betrogen, wo doch sein einziger Antrieb war, diesen "bedauernswerten Kreaturen" etwas Freude zu bereiten.'

 S. 171/172


Angemerkt

Wer übrigens denkt, in Deutschland wäre Polygamie kein Thema, der sollte sich mal die Studie der Gewis (Gesellschaft für erfahrungswissenschaftliche Sozialforschung) ansehen, der zufolge etwa drei Millionen Frauen als Geliebte leben. Diese Zahl klingt an sich ja schon beeindruckend. Bedenkt man aber, dass möglicherweise nicht jede Frau bei einer solchen Befragung ihren Beziehungsstatus offen legen möchte und falsche Angaben macht, könnte die Zahl noch deutlich höher liegen. 

 

Facts zur Autorin

Angèle Rawiri wurde 1954 in der Hafenstadt Port-Gentil geboren als Gabun noch französischen Kolonie war und Äquatorialafrika hieß. Ihre Schulbildung absolvierte sie in Frankreich und arbeitete nach dem Abitur für zwei Jahre als Schauspielerin und Model.

1979 kehrte Rawiri nach Gabun zurück verdiente zunächst als Übersetzerin und Dolmetscherin bei der Société nationale de pétrole ihren Lebensunterhalt. Zu dieser Zeit schrieb die Autorin aber auch schon an ihren erstem Roman G'amarakano, der 1983 veröffentlicht wurde. Damit ist sie die erste SchriftstellerIn Gabuns (Um es ganz deutlich zu sagen: Sie ist nicht nur die erste weibliche Person des Landes, die Romane schreibt, sondern die erste Person überhaupt!)

Ihre ersten beiden Romane veröffentlichte Rawiri unter ihrem zweiten Vornamen Ntyugwétondo. Nachdem die Autorin wieder nach Paris umgezogen war, wo sie bis zu ihrem Tod 2010 lebte und arbeitete, führte sie den Vornamen Angèle.

 

Weitere Bücher der Autorin

1983: Elonga

1986: Gʾamèrakano: au carrefour

 

Weitere Autorinnen aus Gabun

Nadele Noele Ango-Obiang (*1973)

Peggy Lucie Auleley

Bessora (* 1968, geb. in Belgien)

Chantal Magalie Mbazoo-Kassa (*1967)

Justine Mintsa (* 1949)

Nadège Noëlle Ango Obiang (*1973)

Angèle Ntyugwetondo Rawiri (1954-2010)

 

Links zur Autorin

http://www.warscapes.com/reviews/gabons-first-woman-novelist-explores-feminist-themes

 

 

 

 

 

 

 




 

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