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Ghana

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und lesen 

Ama Ata Aidoo: Die Zweitfrau. Übersetzt von Anita Jörges-Djafari. Lamuv Verlag, 1991

Original: Changes. 1991

 


 

 

 

 

 

 

 

     

Rezension

Esi ist eine erfolgreiche Frau. Sie ist Akademikerin, hat einen tollen Job beim Statistikamt in der Hauptstadt mit entsprechendem Gehalt, einen angesehenen Ehemann und sieht außerdem noch sehr gut aus. Auf den ersten Blick könnte man meinen, sie hat alles, was eine Frau im Leben erreichen kann. 

Die Welt ihrer Freundin Okupuya sieht da ganz anders aus. Obwohl sie als staatlich geprüfte Krankenschwester einen anstrengenden Beruf hat, rühren weder Mann noch die vier gemeinsamen Kinder einen Finger im Haushalt. Das größte Alltagsproblem ist aber die fehlende Mobilität. Die Familie besitzt zwar ein Auto. Aber obwohl Okupuyas Ehemann seinen Arbeitsplatz im Gegensatz zu ihr leicht erreichen kann, weigert er sich, ihr das Fahrzeug auch nur tageweise zu überlassen. Er glaubt, seinen Kollegen gegenüber das Gesicht zu verlieren, wenn er ohne den Wagen zur Arbeit kommt. So steht das Fahrzeug den ganzen Tag auf dem firmennahen Parkplatz, während die ohnehin stark belastete Okupuya täglich nicht nur eine langwierige Odyssee mit öffentlichen Verkehrsmittel zurücklegen, sondern auch die umfangreichen Einkäufe auf diesem Wege transportieren muss. Sie hastet ständig ihren Terminen hinterher und hat keine Zeit, sich um ihre eigenen Bedürfnisse zu kümmern. Wie bei vielen Frauen führt der ständige Stress zu Übergewicht. Kein Wunder, dass es viel gibt, um das Okupuya ihre Freundin beneidet.

Interessanterweise ist es aber Esi, die unzufrieden ist und ihr Leben verändern will. Sie hat bereits mehrere Möglichkeiten des Zusammenlebens mit ihrem Ehemann ausprobiert. Nach der Geburt ihres Kindes stellte sie ihre Karriere zurück und nahm einen langweiligen Job beim Standesamt einer kleineren Stadt an, um näher bei der Familie zu leben. Nach einigen Jahren, in denen sie beruflich völlig unterfordert und zutiefst gelangweilt war, kehrte die Familie in die Hauptstadt zurück. Esi konnte erneut eine anspruchsvollere Arbeit annehmen, aber nun begann es in ihrer Ehe zu kriseln. Ihr Mann klammerte, fühlte sich unterlegen, wünschte sich weitere Kinder - das alles wird Esi schließlich zu viel. Sie versucht etwas Neues.

Verliebt in einen Mann, der bereits verheiratet ist, versucht die moderne Akademikerin es mit dem uralten Konzept der Zweitfrau. Sie verlässt ihren Ehemann entgegen aller Ratschläge und hofft, als Zweitfrau nun das Beste aus den verschiedenen Ehe-Welten zu erhalten: Einerseits eine Entlastung, weil sie sich nicht um die Organisation des Alltags ihres Ehemannes oder einen großen Haushalt kümmern muss, denn das fällt ihrer Ansicht nach in den Aufgabenbereich der Erstfrau. Dadurch erhofft sie sich mehr Zeit und Kraft für ihre Karriere. Trotzdem hofft Esi, dass sie als Zweitfrau nicht einsam sein wird. Sie lebt ja immerhin in einer von der Gesellschaft tolerierten Beziehung und der neue Mann wird seine entspanntesten Stunden mir ihr verbringen. Der Status als Zweitfrau schützt sie außerdem vor den Zudringlichkeiten anderer Männer, die zu erwarten wären, wenn sie sich scheiden ließe, um als Single weiterzuleben.

Ob ihre Überlegungen aufgehen, solltet Ihr selber lesen. Ich empfehle das Buch jeder Lesereisenden, weil natürlich alle Frauen die multiblen Probleme kennen, wenn man Beruf, Beziehung, Kind(er) und die eigenen Bedürfnisse unter einen Hut bringen will. Besonders gut hat mir gefallen, dass Aidoo ihre Figuren ganz individuelle Emanzipationsschritte machen lässt. Ein Patentrezept zum Glücklichsein gibt es natürlich nicht, aber die Autorin macht doch deutlich, dass sie in der gegenseitigen Unterstützung von Frauen untereinander das größte Potenzial zur Verbesserung der Situation sieht - selbst, wenn die eigenen Probleme den Blick auf andere Perspektiven zumindest zeitweise verstellen.  

 

Leseprobe

Esi hörte ihre Großmutter singen. Und wie zu sich selbst sagte sie: >>Ich bin sicher, es gibt keine Lösung für mich. Es sei denn, ich lerne einen Mann kennen, der meinen Lebensstil akzeptiert.<<

>>Deinen Lebensstil? Esi, wenn du so weitermachst, wirst Du Schwierigkeiten bekommen. Weil es keinen Mann geben wird, meine Liebe, der deinen Lebensstil akzeptiert.<<

>>Und was mache ich mit meiner Einsamkeit?<<

>>Du weißt doch gar nicht, was Einsamkeit bedeutet.<<

>>Opoku...<<

>> Ach du. Glaubst du wirklich, du wärst einsam? Sister, du hast keine Ahnung. Was ich sagen wollte, ist, wenn du wirklich einsam wärst und wirklich unbedingt etwas dagegen unternehmen  wolltest, dann wüßtest du, was du zu tun hättest.<<

>>Wie meinst du das?<<

>>Ach, ich dachte, ihr studierten Leute, die auf der Uni wart, wisst und versteht alles?<<

>>Jetzt bist du gemein.<<

>>Entschuldige, Sister. Ich hab's nicht so gemeint.<<

>>Worauf willst du hinaus?<<

>>Ganz einfach. Du kannst einfach nicht alles haben, was du willst, und gleichzeitig erwarten, dass du nicht einsam bist, zumindest eine gewisse Zeitlang.<<


S. 75

 

Facts zur Autorin

Christina Ama Ata Aidoo ist eine der bekanntesten AutorInnen Ghanas. Sie stammt aus Abeadzi Kyiakor in der Central Region, allerdings hieß Ghana zur Zeit ihrer Geburt noch "Goldküste" und war eine Kolonie Großbritanniens. Ihr Vater war ein traditioneller Chief der Fante, der Lebenslauf von Aidoo erweist sich allerdings als modern: High School-Besuch in Cape Coast, Studium der Anglistik von 1961 bis 1964 an der University of Ghana. 1964 und 1967 lehrte Aidoo an der Universität von Legon.

1982/1983 ging die Autorin in die Politik und wurde von Präsident Jerry Rawlings zur Erziehungsministerin berufen. Ihr Ziel war es, Bildung in Ghana für alle frei zugänglich zu machen, vor allem auch für Frauen. Nach 18 Monaten legte sie ihr Amt nieder, weil sie keine Chance sah, innerhalb des Systems etwas zu ändern.

 

Weitere Werke der Autorin

Theaterstücke

The Dilemma of a Ghost. Longman, 1965 / Macmillan, 1971

Anowa (basiert auf einer ghanaischen Legende). Longman, 1970 / Humanities Press, 1970

 

Kurzgeschichten

No Sweetness Here. Longman, 1970

The Girl Who Can and Other Stories. Heinemann African Writers Series, 1997

Diplomatic Pounds & Other Stories. Ayebia Clarke Publishing, 2012

  

Roman

Our Sister Killjoy: or Reflections from a Black-eyed Squint. Longman, 1977

 

Gedichte

Someone Talking to Sometime. Harare: College Press, 1986

Birds and Other Poems, Harare: College Press, 1987

An Angry Letter in January. Dangaroo Press, 1992

 

Kinderbücher

The Eagle and the Chickens and Other Stories. Tana Press, 1986

 

Preis

1992 Commonwealth Writers' Prize, "Bestes Buch" für Changes ("Die Zweitfrau")

 

Angemerkt

Mittlerweile wurde ein Buchpreis zumindest zur Hälfte nach ihr benannt, der Aidoo-Snyder Book Prize, der von der Women's Caucus of the African Studies Association für herausragende Bücher von Frauen verliehen wird, die besonders die Lebenserfahrung von afrikanischen Frauen repräsentieren. Man fragt sich, wer sich so was ausdenkt. Sowohl nach Ama Ata Aidoo als auch nach Margaret C. Snyder, die Gründungsdirektorin von UNIFEM, hätte auch ein "ganzer" Preis benannt werden können. 

 

Noch was angemerkt 

Wer jetzt denkt, dass die Überlegung, als Zweitfrau durchs Leben zu gehen, eine afrikanische Idee ist, dem möchte ich gern eine Zahl mit auf den Weg geben. Nach einer Statistik der Gesellschaft für erfahrungswissenschaftliche Sozialforschung (Gewis) leben in Deutschland mindestens drei Millionen Geliebte (möglicherweise mehr, wenn man annimmt, dass nicht jede Probandin hier korrekte Angaben macht.) Darunter sind auch zahlreiche gutausgebildete Berufstätige, die vieles mit ihrem Partner teilen möchten, aber nicht unbedingt den Wunsch nach Kindern oder einem dauerhaft gemeinsamen Alltag.


Weitere Autorinnen aus Ghana

Mary Asabea Ashun (* 1968)

Portia Arthur (* 1990)

Ayesha Harruna Attah (* 1983)

Yaba Badoe (* 1955)

Elizabeth-Irene Baitie (* 1970)

Margaret Busby

Abena Busia (*1953)

Akosua Busia (*1966)

Adelaide Casely-Hayford (1868–1960)

Gladys May Casely-Hayford (1901–1950)

Mabel Dove Danquah (1910–1984)

Meri Nana-Ama Danquah (* 1967)

Amma Darko (* 1956)

Yaa Gyasi (* 1989)

Afua Hirsch (* 1981)

Lesley Lokko

Frieden Adzo Medie

Nana Oforiatta Ayim

Mercy Adoma Owusu-Nimoh (1936–2011)

Taiye Selasi (* 1979)

Efua Sutherland (1924–1996)

Esi Sutherland-Addy

 

Links zur Autorin

https://www.youtube.com/watch?v=VuxPvJqQp0I

https://blackagendareport.com/essay-african-woman-today-ama-ata-aidoo-1992

https://www.choices.de/film/the-art-of-ama-ata-aidoo/kurzinfo

https://www.archiv3.org/volltext_131143.htm

 

Links zum Buch

https://literaturschock.de/literaturforum/forum/index.php?thread/25689-ghana-ama-ata-aidoo-die-zweitfrau/

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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